Mehrere Bundesländer planen, das Thema Wiederbelebung zum festen Bestandteil des Lehrplans zu machen. Baden-Württemberg gehört nicht dazu – obwohl Experten und Verbände dazu raten.
Im Saarland gibt es ihn bereits, in Rheinland-Pfalz wird er zum Schuljahr 2026/27 eingeführt: der verpflichtende Reanimationsunterricht an Schulen. Dabei wird Reanimation in den Klassen 7, 8 oder 9 in einem Block von zwei Schulstunden gelehrt. Während weitere Bundesländer die Einführung des verpflichtenden Unterrichts planen, ist davon in Baden-Württemberg bislang keine Rede.
Kommt Reanimationsunterricht an Schulen in BW?
„Ein verpflichtender Reanimationsunterricht ist an allen Schulen in Baden-Württemberg derzeit nicht geplant“, heißt es vonseiten des baden-württembergischen Kultusministeriums auf SWR-Anfrage. Der Grund dafür: Die Vermittlung von Erste-Hilfe-Kenntnissen erfolge schon auf freiwilliger Basis im Rahmen von schulischen Angeboten, Projekten und in Kooperation mit außerschulischen Partnern. Schulen in BW bieten Alternativen zum Reanimationsunterricht
Das baden-württembergische Kultusministerium teilte zudem mit, man habe sowohl an allgemeinbildenden als auch an beruflichen Schulen „zahlreiche Anknüpfungspunkte für die Themen Erste Hilfe und Herz-Lungen-Wiederbelebung„, die sich bewährt hätten.
Konkret werde das Thema laut Kultusministerium an baden-württembergischen Schulen im Rahmen verschiedener Angebote behandelt: Im Sachunterricht der Grundschule könnten Schülerinnen und Schüler der Klassen drei und vier beispielsweise an Erste-Hilfe- und Unfallverhütungsmaßnahmen herangeführt werden. Aufgrund der verschiedenen Anknüpfungspunkte rund um das Thema Wiederbelebung sehe man laut Kultusministerium keine Notwendigkeit, in Baden-Württemberg verpflichtenden Reanimationsunterricht einzuführen.
DRK Baden-Württemberg spricht sich für verpflichtenden Reanimationsunterricht aus
Nach Ansicht des Landesverbands Baden-Württemberg des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) sollten kindgerechte Erste-Hilfe-Angebote nach dem Vorbild anderer Bundesländer in allen Bildungsplänen verankert werden. Kinder aus Baden-Württemberg dafür zu sensibilisieren, wie sie sich im Notfall richtig verhalten, leiste einen wesentlichen Beitrag zur Prävention dauerhafter Gesundheitsschäden. Das teilte der Landesverband dem SWR auf Anfrage mit. Zudem sprach sich der Landesverband dafür aus, die Einweisung in Präventionsprogramme verpflichtend in die Ausbildung von Lehrkräften zu integrieren.
Laienreanimationen: Deutschland hinkt im europäischen Vergleich hinterher
Die Kenntnisse in Erster Hilfe wirken sich auch auf die Zahl der Laienreanimationen aus. Damit sind Wiederbelebungen durch nicht medizinisch ausgebildete Helferinnen und Helfer bei einem Herz-Kreislauf-Stillstand gemeint.
Die jüngste Erhebung des Bundesgesundheitsministeriums dazu ergab, dass die sogenannte Laienreanimationsquote in Deutschland 2023 bei rund 50 Prozent lag. Im Vergleich zum Jahr 2010 ist das ein deutlich erkennbarer Sprung: Damals lag die Quote laut Gesundheitsministerium bei rund 14 Prozent. Laut der ADAC-Stiftung würde die Laienreanimationsquote steigen, wenn Reanimation im Bildungssystem mehr Priorität bekommt. Organisatorische Hürden, unzureichend geschulte Lehrkräfte und fehlende Ausstattung würden die Umsetzung blockieren.
In skandinavischen Ländern wie Dänemark erreiche man bei der Laienreanimation teilweise Quoten von rund 80 Prozent. Laut Bundesgesundheitsministerium liegt das unter anderem daran, dass beispielsweise in Dänemark Wiederbelebungsmaßnahmen bereits im Schulunterricht eingeführt wurden.
Umfrage: Letzter Erste-Hilfe-Kurs liegt zehn Jahre zurück
Das Thema Reanimation und Erste Hilfe spielt auch im Erwachsenenalter eine Rolle. Bei einer deutschlandweiten Umfrage des ADAC gaben 52 Prozent der rund 3.600 Befragten an, sich zuzutrauen, Erste Hilfe leisten zu können. Jedoch lag der letzte Erste-Hilfe-Kurs bei 55 Prozent der Befragten mehr als zehn Jahre zurück. Interesse an besseren Kenntnissen bestehe durchaus.
Meine Meinung:
Das Argument des BW-Kultusministeriums klingt auf den ersten Blick nett – „wir machen ja schon freiwillig Erste-Hilfe-Angebote“ – ist aber in der Realität leider der Grund, warum wir in Deutschland seit Jahren bei der Laienreanimationsquote hinter vielen europäischen Nachbarländern hinterher hinken.
Freiwilligkeit bedeutet: Nur ein kleiner Teil der Schülerinnen und Schüler wird überhaupt erreicht, und oft sind es immer wieder dieselben Engagierten, während die große Mehrheit keine praktische Übung bekommt. Dabei wissen wir aus Studien und internationalen Vergleichen: Nur verpflichtender, regelmäßiger Reanimationsunterricht führt zu einer flächendeckenden Verbesserung.
In Ländern wie Dänemark oder Norwegen ist die Laienreanimationsquote nach verpflichtender Einführung im Schulunterricht auf über 70 % gestiegen – in Deutschland liegen wir bei rund 50 %. Jeder Prozentpunkt mehr rettet Leben. Und Reanimation ist kein „Nice-to-have“-Thema, sondern ein absolut lebensrettendes Werkzeug, das jeder beherrschen sollte, bevor er volljährig wird.
Gerade Jugendliche sind Multiplikatoren: Wer in der Schule lernt, wiederzubeleben, gibt das Wissen an Familie, Freunde und Vereine weiter – und verliert die Scheu, im Notfall einzugreifen. Freiwillige Projekte schaffen diesen Effekt nicht flächendeckend.
Kurz gesagt:
Ohne Pflichtunterricht verschenken wir die Chance, eine ganze Generation zu befähigen, Leben zu retten. Und jedes Jahr ohne diese Maßnahme bedeutet: unnötige Tote, die hätten überleben können.